Tagelang habe ich den Prozess von Oscar Pistorius per live stream verfolgt. Ich habe den Aussagen der Zeugen Gehör geschenkt, das Kläffen des „Bull Terriers“ Gerrie Nel (Staatsanwalt) in mein Ohr schallen lassen, die Bemühungen des Verteidigers Barry Roux beobachtet und mir zu guter Letzt auch noch die zerbrechlichen, meist gewimmerten Worte und Erklärungen des Angeklagten Oscar Pistorius angehört.
Mein eigener Fall
Als der Prozess bis zum 5. Mai pausierte, konnte ICH nicht pausieren – süchtig nach immer mehr Informationen über den Fall und letztendlich über Oscar Pistorius selbst. Oscar als Person, als Mensch, als Sportler, als Freund, als Bruder, all das was er war und ist und wer er war und ist, wollte ich erfahren und zog mir deshalb Tag für Tag noch mehr Videos und Texte über den „Blade Runner“ rein. Aufhören konnte ich nicht mehr, denn mittlerweile berührte und beschäftigte der Fall mich unglaublich. Inzwischen musste ich auf mich selbst aufpassen, denn mein Mitleid zurückzuhalten, gelang mir meist nicht mehr….
Nur Oscar und Reeva kennen die Wahrheit
Man kann nicht sagen, was am Valentinstag 2013 wirklich passiert ist, was wahr oder unwahr ist. Beide Seiten, Verteidigung und Staatsanwaltschaft, haben jeweils ihre Annahmen des Tatabends. Manchmal denkt man „Ja, stimmt, das ist wirklich komisch.“ und dann denkt man wieder „Hmm…das könnte aber auch stimmen.“ Man kann kein Urteil fällen und auch wenn bald eines fallen muss, weiß man wahrscheinlich immer noch nicht die echte Wahrheit.
Überraschende Wende im Prozess: Psychatrie
Nach der Pause wurde die Psychiaterin Merryl Vorster von der Verteidigung in den Zeugenstand gerufen, sie brachte mit ihrer Aussage eine möglicherweise folgenschwere Wende in Gang. Vorster attestierte Oscar Pistorius eine intensive Angststörung. Dies zwang Richterin Thokozile Masipa, vor allem nach der Forderung des Staatsanwalts eines neuen Gutachtens, letztendlich zu der Entscheidung, Pistorius für eine intensive Untersuchung in die Psychatrie im südafrikanischen Pretoria einzuweisen. Masipa begründete ihren Entschluss damit, dass es die Möglichkeit gäbe, Oscar Pistorius könne nicht voll schuldfähig sein, da die Angststörung Einfluss auf sein Handeln in der Tatnacht gehabt haben könne. Durch die psychiatrische Untersuchung soll nun herausgefunden werden, ob der Angeklagte einen fairen Prozess bekommt oder eben nicht. Nun muss Pistorius also (bereits ab dem 26. Mai) einen Monat lang tagsüber zur Untersuchung ins Weskoppies Psychiatric Hospital in Pretoria. Jeden Tag, von 9 – 16 Uhr. Abends darf er zurück nach Hause, zumindest dorthin, wo sein jetziges Zuhause seit einem Jahr ist – in das Haus seine Onkels.
Gut oder schlecht für Pistorius?
Nun, jetzt heißt es alles oder nichts. Indem Staatsanwalt Gerrie Nel ein neues psychiatrisches Gutachten forderte, setze er alles auf eine Karte. Wird eine vorhandene Angststörung bei Pistorius bestätigt, dann wäre er nicht schuldfähig. Wird bei Pistorius allerdings keine Angststörung diagnostiziert, hat der Staatsanwalt so gut wie gewonnen, denn der Angeklagte wäre dann voll schuldfähig. Die Wahrscheinlichkeit ist dann sehr hoch, dass Oscar Pistorius lebenslänglich hinter Gittern kommt. Sowohl für die Seite der Staatsanwaltschaft als auch für die der Verteidiger stehen jetzt alle Zeichen auf Risiko.
Wiederaufnahme des Prozesses
Am 30. Juni soll dann der Prozess gegen den Paralympics-Star wieder aufgenommen werden. Kommen die behandelnden Ärzte schon früher zu einem Ergebnis, könne der Prozess auch schon früher wieder starten.
Ich bleibe in jedem Fall dran und sitze sobald es wieder losgeht vor dem Bildschirm – und berichte natürlich!
Übrigens: Im 2. Teil „Oscar Pistorius – der Mensch“ geht es dann um ihn selbst. Hintergrundinformationen zur Person Oscar Pistorius und zu seinem bisherigen Leben. Seid gespannt!
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